Rebel-Management-Training denkt nach!

Nadine Rebel

 

In unserem Stadtteil gibt es eine Mitbürgerin, die fast allseits bekannt ist. Sie ist viel mit dem Fahrrad unterwegs und kann kaum überhört werden. Blickkontakt meidet sie, wann immer es geht. Kommt ihr jemand entgegen – ob zu Fuß oder mit dem Auto – so hält sie sich die Hand vor die Augen und fährt weiter. Man hört sie schon von Weitem. Sie brüllt und schimpft, sie schreit und flucht und offeriert dabei Einblicke in ihr Denken. Da ist vom Blutrausch die „Rede“, von ihrem „Gebieter“, von „Schweinen und Kindern, die man schlachten muss“, von „Satan, auf den sie warten würde “. Manchmal stört sie sich aber auch zu langsam einparkenden Autos, an denen sie nicht schnell genug vorbeikommt. Dann kann es passieren, dass die Lautstärke und die Hasstiraden zunehmen. An besonders „guten“ Tagen wechselt sie ihr Verhalten und spricht Männer – statt ihrer üblichen Verhaltensweise –direkt und sehr eindeutig an.

Oftmals habe ich mich gefragt, was wohl passieren würde, wenn ich mich auf einmal so verhalten würde. Ich wage zu behaupten, dass es keine 10 Minuten dauern würde, bis ich in Gewahrsam genommen werden würde.
Hier ist allerdings jemand so offensichtlich der Welt entrückt, man könnte eben auch sagen „verrückt“, dass diese Person getrost ignoriert wird. Ob das richtig ist? Ich weiß es nicht.

 

Verrückt

Man kann Möbelstücke verrücken, man kann verrückt sein. Das ist keine wissenschaftliche Definition. Damit unterliegt dieses Wort einer großen Bandbreite von Interpretationsmöglichkeiten. Salopp wird das Wort „verrückt“ mit einer krankhaften Verwirrtheit im Denken und Handeln gleichgesetzt. Verrückt oder wahnsinnig? Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden alle Verhaltens- und Denkmuster, die nicht den akzeptierten sozialen Normen entsprachen, dementsprechend betitelt. Heute kann man schnell wahnsinnig werden oder als verrückt gelten, immerhin ändern sich auch die gesellschaftlich akzeptierten Normen sehr schnell. Was gestern böse war ist, heute gut und umgekehrt.

 

Ungleiche Maßstäbe

Wenn man sich lange genug verschroben aufführt, gehört man irgendwann zum Inventar oder wird gar zum Kultobjekt. Freiheitsliebe ist beispielsweise eine neue Art von Fetisch, so sagt man. Man muss es nur schaffen, so lange durchzuhalten, dass man ignoriert wird. So wie die Dame, die zum Stadtteil-Inventar gehört. „Tut doch niemandem was!“ – so sagt man. Und bisher gibt es keine Gegenbeweise.

Merke: Es ist nicht dramatisch, wenn man Satan als seinen Gebieter anruft und zum Abschlachten von Menschen und Kindern aufruft, solange man dabei nur laut genug ist. Dann nimmt einen niemand ernst.

Und wer so laut vor sich her schimpft und so gestört ist, der ist bestimmt auch keine Bedrohung für sich und andere.

 

Die Machtposition

Man kennt das aus „Biedermann und die Brandstifter“. Hier haben die Protagonisten keinen Hehl aus ihren Plänen gemacht und gerade deswegen wurde ihnen nicht geglaubt.

Vielleicht liegt es aber auch an der Position, die derartige Personen innehaben. Gar keine. Sie können kaum bis nichts bewirken, sie haben weder Einfluss, noch Macht, noch Geld. Sie pöbeln und schimpfen nur vor sich hin.

 

Dieser Erklärungsversuch ist dürftig. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich es beispielsweise nicht ausprobieren sollte auch nur an einem einzigen Tag das gleiche Verhalten wie die oben beschriebene Dame an den Tag zu legen. Es würde nicht lange dauern, bis die Polizei mich auf die Abartigkeit meines Verhaltens aufmerksam machen und eine Belehrung erfolgen würde.

 

Pausen

Vielleicht liegt der mangelnde Störfaktor aber auch in den Pausen begründet. Fast jede Person in unserem Stadtteil hat schon einmal auf die ein oder andere Art Bekanntschaft mit der Dame gemacht. Manchmal sieht man sie 2-mal an einem Tag, dann wieder eine ganze Woche gar nicht. Fakt ist, man kann sich immer wieder erholen. Es sind einem Pausen vergönnt. Die Beeinträchtigung ist nur temporär und das Verhalten bleibt nahezu immer gleich. An guten Tagen bietet sich die Dame schier an, an schlechten Tagen schimpft sie im „Dialog“ mit ihrem satanischen Gebieter über den Rest der Welt, den sie in Kooperation mit ihrem Herrn und Meister abschlachten will, allen voran die Kinder. Mal so, mal so.

Das eigene Leben wird durch sie nicht wirklich beeinträchtigt. Okay, es ist manchmal etwas seltsam, wenn man sich gerade in einem Telefongespräch befindet, die Fenster zur Straße offenstehen und die Dame vorbeifährt. Man kommt dann kurz in Erklärungsnöte, aber auch das geht schnell vorbei.

Ich denke, wenn die Dame von 9 to 5 vor dem Fenster stehen würde, wäre das Gefühl der Beeinträchtigung größer.

Ob der Wahnsinn von außen einen also wahnsinnig macht, hängt auch immer davon ab, wie schnell und für wie lange man in die Normalität zurückkehren kann und darf.


Offensichtlich geisteskrank

Man muss die Dame nicht ernstnehmen, da sie offensichtlich eine Gemütsstörung hat. Man darf die Dame nicht ernstnehmen, weil man sonst in Panik verfällt. Daran, dass ihr Verhalten nicht der Norm entspricht, besteht kein Zweifel. Insofern muss man sich damit nicht weiter beschäftigen.

Man darf sich also auch in unserer Gesellschaft verrückt benehmen, wenn es nur verrückt genug ist. Wer ein bisschen abweicht, wer ein bisschen anders denkt, der kann nicht ignoriert werden. Und wer nicht ignoriert werden kann, der muss bekämpft werden.

 

Machtvolle Wahnfantasien

Was aber wäre, wenn die Dame gar nicht so harmlos sein mag, wie man im ganzen Stadtteil zu glauben bereit ist. Jeder kennt sie, keiner weiß Näheres über sie. Niemand kennt ihre Diagnose. Satansbraut und die Brandstifter? Nein, daran will man nicht denken. Sie tut doch niemandem etwas. Und weil sie niemandem etwas tut, kann man auch nicht prophylaktisch gegen sie vorgehen. Das ist gut so. Das ist Freiheit. Man kann niemanden vorsorglich anschwärzen oder festnehmen, wenn er oder sie sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, außer vielleicht etwas lautstark das eigene Denken preiszugeben, welches zugegeben etwas verschroben wirkt. So tolerant muss man schon sein.

 

Ignoranz kann gut sein

Insofern kann Ignoranz der Gesunderhaltung der eigenen Psyche dienen. Kann man ein Verhalten ignorieren und tangiert einen dieses Verhalten nur peripher oder zeitlich sehr begrenzt, ist es einfacher, dieses Verhalten einfach zu ignorieren.
Und diese Dame ist (bisher) allein auf weiter Flur. Sie gehört also einer zu vernachlässigenden verrückten und abgedrehten Minderheit an. Einfach ignorieren.

Das funktioniert gut, das machen viele. Dieses Verhalten führt oftmals zum Erfolg. Wie damals als Kind, wenn man sich die Finger in die Ohren steckte, die Augen fest zukniff und laut „la la la“ sang, um einfach nichts mehr von außen wahrnehmen zu müssen.

 

Hypothetisch

Was aber wäre, wenn wirklich etwas passiert. Wenn den Worten Taten folgen, wenn in irgendeiner Form Gewalt ins Spiel käme? Oder ist es nicht schon verbale Gewalt, wenn man auf offener Straße Satan anruft und vom Schlachten der Menschen spricht?

Wäre das dann so ein Fall, wo man sich und anderen die Fragen stellen müsste, warum man das nicht kommen sah, warum man nichts unternommen hätte, warum man es einfach geschehen hat lassen?

Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer, retrospektiv kann jede Person alles richtig machen.

Die Zukunft wird es zeigen. Bis dahin bin ich in einer Art morbiden Neugier gespannt, welche Wahnfantasien sie das nächste Mal preisgibt.

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